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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 622

Halbarte, schweizerisch, um 1450, Bodenfund

Hochrechteckiges, dünnes Blatt mit leicht schräg gestellter Schneide, welches in eine Spitze mit rhombischem Querschnitt übergeht. Am messerartigen Blattrücken befestigt, dienen zwei gerundete Tüllen von ungleicher Grösse als Halterung für den (fehlenden) Schaft. Die Tülle an der Blattbasis ist beinahe doppelt so gross wie die darüber befindliche Tülle, deren oberes Ende den Anfang der flächig-rhombischen Spitze markiert. Zwei gleiche, einseitig eingeschlagene Marken sind auf oberer Tüllenhöhe gegen das Blattinnere sichtbar. Es handelt sich um eine relativ grosse schildförmige Marke, in deren Zentrum ein pfeilspitzenartiges Zeichen zu sehen ist.

Gesamtlänge: 45,2 cm, Gewicht: 704 g
Provenienz: Auktion Galerie Fischer, Luzern, 25. 11. 1959, Nr. 3, ehemals Slg. Charles Boissonnas (1832 – 1912).

Kommentar

Die frühen, erstaunlich leichten, messerartig konzipierten Halbarteneisen unterscheiden sich konstruktionsmässig deutlich von den im Verlauf des 3. Viertels des 15. Jahrhunderts vor allem in Deutschland entwickelten, schweren Halbarteneisen mit axtähnlichen Blättern und massiven Vierkantspitzen. Aus der unterschiedlichen Beschaffenheit resultiert auch eine unterschiedliche Einsatzdoktrin. Weil die Schutzbewaffnung schon im 14./15. Jahrhundert, vor allem aber seit der Verbreitung des Plattenharnisches, bei Angriffen mit der messerartigen, eher fragilen Halbarte einen genügenden Schutz bot, musste der beweglich operierende alteidgenössische Halbartenkrieger primär immer leicht verwundbare, ungeschützte Körperteile, vor allem Gliedmasse und Häupter von Menschen und Pferden, angreifen. Bei einem direkten Schlag auf eiserne, teilweise gestählte Harnischelemente wäre die Klinge einer frühen Halbarte in Mitleidenschaft gezogen worden. Die schweren Halbarteneisen erwiesen sich in jeder Hinsicht als robuster, es konnte beim Einschlagen auf einen Harnischträger sogar eine gewisse «Choc-Wirkung» erzielt werden, ohne dass das Blatt in Brüche ging. Im Nachgang versetzte man dem Gegner ein weiteren gezielten, oftmals tödlichen Schlag oder Stoss. Die undifferenzierte Behandlung dieser beiden Halbartentypen in der Waffenkunde und der Militärgeschichte ist unter anderem auf die Etymologie des Begriffs «Halbarte» zurückzuführen, «Halm» = Schaft, Stiel, «Barte» = Beil. Dabei verlor man die tatsächliche Beschaffenheit früher Halbarten aus den Augen. Das in Thièle gefundene Halbarteneisen wurde 1881 vom bekannten Genfer Waffensammler, Staatsrat Charles Boissonnas (1832-1912), erworben und nach seinem Tode im Katalog «Alte Waffen aus der Schweiz» publiziert. Auf dem hochrechteckigen, dünnen Blatt mit leicht schräg gestellter Schneide findet man nebeneinander zwei gleiche, geschlagene Meistermarken. Der obere, flächige Blattabschluss verengt sich zur vierkantigen Spitze, eine Entwicklung, die sich gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts feststellen lässt. Der Holzschaft kann durch die zwei Tüllen auf dem Blattrücken gestossen werden.
Im «Trojanischen Krieg», einem Werk des 1287 in Basel verstorbenen Dichters Konrad von Würzburg, wird die neuartige Waffe, genannt «hallenbarte», erstmals erwähnt. Ihre Wirkung beschreibt der Chronist Johannes von Winterthur in seinem Bericht über die Morgartenschlacht von 1315: «Auch trugen die Schwizer gewisse Mordwaffen, «Gesen» in den Händen (in ihrer Sprache Helnbartn genannt), wahrhaftig furchtbare Kriegswerkzeuge, mit welchen sie die wohlbewehrten Feinde wie mit einem Messer spalteten und in Stücke hieben». Obschon die Bezeichnung «Halbarte» sich aus «Halm» für Stiel und «Barte» für Axt, ableiten lässt, charakterisiert Johannes von Winterthur die Wirkung der Waffe zu Recht als messerartig. Mit den dünnen und leichten Halbarteneisen, wie sie in der Schweiz bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts gebräuchlich waren, konnten nur die «weichen» Stellen eines Gegners mit Erfolg angegriffen werden. Die Panzerung etc. bot vor der schneidenden Wirkung der frühen Halbarten hinlänglichen Schutz. Gelang es den alteidgenössischen Kriegern das «gestielte Messer» behende schwingend, berittene oder unberittene Gegner zum Straucheln zu bringen, so folgten bald weitere, gezielte Streiche auf die Extremitäten oder das ungeschützte Haupt. Begreiflich ist die Klage des Chronisten über die Niedermetzelung des österreichischen Heeres, das von Herzog Leopold den Bergbauern auf die Schlachtbank geliefert worden sei. Die verschiedenen Frühformen der messerartigen Halbarte wurden zu Ende des 15: Jahrhunderts durch kompakter geschmiedete, massivere und schwerere Halbarten abgelöst, deren Blätter konstruktionsmässig mit Äxten vergleichbar sind.
Die Eisen originaler Sempacherhalbarten um 1400 unterscheiden sich deutlich durch ihr geringeres Gewicht, maximal 1 kg, von den nachempfundenen Sempacherhalbarten des 17. Jahrhunderts oder den historisierenden Erzeugnissen des 19. Jahrhunderts (Sempacher Schlachtenfeier 1886).
Als Hersteller für die messerartigen Halbarteneisen kommt z.B. das seit der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts in Luzern verbreitete Handwerk der Sensenschmiede, der «Segenser», in Frage. Das Schmieden von Senseneisen entspricht weitgehend den für frühe Halbarten geltenden Fertigungskriterien. Vor allem in Basel, in geringerem Ausmass auch in Bern, war in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis um 1450 ein exportorientiertes Messerschmiedehandwerk ansässig, das sich auch auf die Fertigung von messerartigen Halbarten verstand.
Literatur: Slg. Carl Beck, Katalog 1998, S. 22/24, Nr 2, Farbtafel.