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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 357

Degen
deutsch, um 1806, Württemberg, für einen Offizier oder ein Mitglied des Hofes

Messinggefäss, aus gegossenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt, vergoldet. Kugeliger Knauf, grosser Vernietknauf, Griffbügel in Parierstange mit knospenartigem Ende mündend, herzförmiges Stichblatt gegen den Griffbügel hin geteilt und in Lappenfortsätzen endend. Auf der Stichblattunterseite befindet sich eine ovale Manschette, die mit dem Mundblechabschluss der Scheide korrespondiert. Auf der Vorderseite des gegossenen Griffstücks die Darstellung des Wappens des Kurfürsten und Königs Friedrich I. von Württemberg (Regierungszeit 1797 – 1816), wie es vom 1. 1. 1806 bis zum 6. 8. 1806 geführt wurde. Die Rückseite des Griffes bedeckt im Zentrum eine grosse Trophäe bestückt mit zeitgenössischen Waffen etc.
Zweischneidige, sechskantige Klinge (Länge 84,8 cm, Breite 2,5 cm) aus der Zeit um 1730/40, ursprünglich für einen preussischen Offiziersdegen bestimmt. Die Marken und Signaturen wurden auf versenkten Messingscheibchen, «Preussenadler/KOHL», oder Plättchen «ME: FE[CIT]/POTZDAM», angebracht. Die Signatur «KOHL» ersetzte eine ältere Adlermarke, die vorgängig entfernt worden war. Rötliche Lederscheide, vergoldete Messinggarnitur, das Mundblech ebenfalls mit «KOHL» signiert.

Gesamtlänge: 100,3 cm,, Gewicht (ohne Scheide) 692 g, Gewicht (mit Scheide): 839 g
Provenienz: Flohmarkt, Paris, Oktober 1955.

Kommentar

Das Gefäss wurde von einem nicht namentlich bekannten Goldschmied oder Gürtler angefertigt und vom Stuttgarter Degen- und Waffenschmied G. H. Kohl mit einer überarbeiteten «Traditionsklinge» versehen. Nach dem siegreichen Italienfeldzug Napoleons musste Österreich-Habsburg im Frieden von Campo Formio am 17. Oktober 1797 in die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich einwilligen. Die betroffenen deutschen Fürsten beabsichtigte man mit anderen Gebieten zu entschädigen. Erst anlässlich einer Versammlung der Reichstände zu Regensburg konnte das französische Versprechen eingelöst werden. Im sogenannten Reichsdeputations-Hauptschluss vom 25. Februar 1803 wurden sämtliche geistlichen Herrschaften säkularisiert und mediatisiert und mit einem Teil der Reichsstädte zur Entschädigung der 1797 enteigneten Fürsten verwendet. Zu den Nutzniessern dieser territorialen Kompensationen gehörte auch württembergische Herzog Friedrich II. (1797 bis 1816), der in Regensburg zudem die Würde eines Kurfürsten erhielt. Eine weitere Erhöhung des Hauses Württemberg brachte der Friede von Pressburg vom 25. Dezember 1805, aus dem Bayern und Württemberg als neue Königreiche hervorgingen. Kurfürst und Herzog Friedrich II. akzeptierte am 1. Januar 1806 die Königswürde, trat mit weiteren 15 süddeutschen Fürsten aus dem Reich aus und wurde Mitglied des unter Napoleons Protektorat stehenden, in Paris gegründeten Rheinbundes.
Die vielen territorialen und rangmässigen Veränderungen des napoleonischen lassen sich mit Hilfe der Heraldik besonders gut illustrieren. Auch die Beschaffenheit des Wappens, das die Vorderseite des Degengriffes ziert, lässt sich nur in Kenntnis der württembergischen Geschichte in den Jahren 1797 bis 1806 interpretieren. Im geteilten Schild findet sich rechts ein stilisiertes Banner, links drei waagrecht übereinander liegende Hirschstangen, das alte Stammwappen der Württemberger, darüber eine Königskrone. Das Banner steht als Symbol für das Ehrenamt des Reichsbannerherrn, das der Herzog von Württemberg im heiligen römischen Reich deutscher Nation innehatte. Dem Reichssturmbanner räumte Friedrich I. von Württemberg in seinem neuen königlichen Wappen als Kurfürst den Ehrenplatz ein. Die erste Version des württembergischen Königswappens wurde nach dem Verzicht Franz I. von Österreich auf die römisch-deutsche Kaiserwürde, am 6. August 1806, durch ein neues Wappen abgelöst.
Die vordere Hälfte nahm fortan das württembergische Stammeswappen ein, die hintere mit den drei schwarzen Löwen erinnerte an die staufischen Herzöge von Schwaben. Mit der Auflösung des Reiches verloren auch die Kurfürsten und die Reichsehrenämter ihre Bedeutung. Kurhut und Reichssturmbanner verschwanden aus dem württembergischen Wappen.
Der vom Stuttgarter Waffenschmied G.H. Kohl signierte Degen entstand, wie die heraldische Analyse ergab, in der ersten Jahreshälfte 1806. Die Erhebung zur Königswürde war auch in Württemberg mit grossem zeremoniellem Aufwand verbunden. Es mussten königliche Insignien, Krone, Zepter usw. beschafft werden. Auch der königliche Hofstaat, die Leibwache, Beamte benötigten neue Uniformen und Griffwaffen. In dieser Zeit wurde auch der Auftrag zur Herstellung dieses aus mehreren gegossenen Teilen bestehenden, ziselierten und vergoldeten Degens erteilt. Der Wappendekor auf der Griffvorderseite, aber auch der Dekor auf der Rückseite und dem Scheidenmundblech ist von sauberer, eher provinzieller Qualität. Ein Vergleich mit französischen Luxusgriffwaffen der Empirezeit macht das qualitative Gefälle deutlich. Das Gefäss stammt von der Hand eines vermutlich in Stuttgart ansässigen Goldschmieds oder Gürtlers, der dieses als Auftragsarbeit für den Waffenschmied G.H. Kohl herstellte. Obschon Kohl den Degen zweimal zeichnete, handelt es sich dabei eher um Liefersignaturen als um Hinweise, welche über die tatsächlichen Produktionsverhältnisse Auskunft geben.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Kohl für den Degen eine alte preussische Offiziers-Degenklinge (Länge 84,8 cm) aus der Zeit von 1730/40 verwendete. Sie weist an der Wurzel als Marken den in eine versenkte Messingscheibe geschlagenen Preussenadler auf, dazu separat die Inschrift «ME FECIT/POTZDAM» sowie die für diese Signatur obligaten kleinen Zierrhomben. Eine ursprünglich vorhandene Adlermarke wurde bei der Montage wegpoliert und von Kohl mit dem eigenen Schriftzug überschlagen. Die vergoldete Messinggarnitur der rötlichen Lederscheide besteht aus einem Mundblech mit Tragring, einem Ringband und einem Stiefel. Im Mundblechdekor hat der Waffenschmied auf der Urnenbasis nochmals seinen Namen «KOHL» angebracht. Kohl war als massgeblicher Lieferant für die Überarbeitung der alten Potsdamer Degenklinge, aber auch für die Endmontage der Waffe inklusive Scheide verantwortlich. Das reich gearbeitete, an österreichische Offiziersdegen erinnernde Gefäss, die Verwendung einer alten preussischen Degenklinge («Traditionsklinge»), sind Hinweise, dass diese Waffe für einen hochrangigen württembergischen Würdenträger oder Offizier, möglicherweise ein Mitglied der Leibwache, geschaffen wurde.
Literatur: Slg. Carl Beck, Katalog 1998, S. 35/38, Nr. 6, Farbtafel.