zurück
zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 264

Seitengewehr, «Kurzdegen»,
österreich-ungarisch, 1917, Offizier, Kraftfahrtruppe (freiwilliges Automobilkorps), möglicherweise auch für die Luftfahrtruppe und Telegraphenregimenter

Verschraubtes Messinggefäss, aus gegossenen und ziselierten Teilen zusammengesetzt, vergoldet. Zylindrische Knaufkappe oben etwas verbreitert, grosse eichelförmige Verschlussschraube. Parierstange mit kurzen, dreieckigen Armen, Abschlusskanten gerundet, quaderförmige Parierstangenbasis in der Front mit vertikalen Zierrillen. Dekor der Parierstangenarme: Vorderseite – geflügeltes Steuerrad/rosettenartiges Rad mit vielen Speichen, darüber ein dreistrahliges Blitzbündel. Rückseite – Ballon mit Gondel/vierstrahliges Blitzbündel über einem Lorbeerkranz. Ovales, ortwärts gebogenes Stichblatt, aufgelegtes und verschraubtes Dekorblech aus graviertem Silber: Darstellung von drei Wappen – Österreich, des Kaisereiches mit Kollane vom goldenen Vlies sowie Ungarn – überhöht von den passenden Kronen, u. a. Stephanskrone, darunter ein leeres Schriftband. Schwarz gelackter, walzenförmiger Holzgriff, Zwinge und Knaufkappe en suite dekoriert.

Vernickelte Rückenklinge (Länge 50 cm, Breite 2,5 cm), volle Wurzel signiert «ZEITLER WIEN», dazu «W.n.r», gefolgt von einem kleinen kaiserlichen Doppeladlerzeichen und «16» (1916?). Klinge mit breitem Hohlschliff im Ortviertel zweischneidig. Schwarz belederte Scheide, Messinggarnitur vergoldet, Mundblech auf der Innenseite mit Tragbügel, Ringband, Stiefel; Garniturteile auf der Vorderseite mit ornamentalem Lorbeerdekor, Rückseite glatt. Schlagband: Goldband mit drei schwarzen Linien, sog. «Durchzügen», versilberte Troddel mit Fransen, auf dem Troddelhals als Dekor beidseitig der kaiserliche Doppeladler.

Gesamtlänge: 64 cm, Gewicht (ohne Scheide): 480 g, Gewicht (mit Scheide): 800 g
Provenienz: Auktion Dorotheum, Wien, 2. 5. 1958.

Kommentar

Das «Freiwillige Automobilkorps» wurde 1906 vom österreichischen Automobil und Motorrad Touring Club (OAMTC) ins Leben gerufen; es folgten 1908 die freiwilligen «Motorcyclisten», ähnliche Organisationen entstanden 1909 in Ungarn. Diese waren militärisch organisiert und wurden vom k. u. k. Kriegsministerium gefördert und subventioniert. Beim Automobilkorps eingeschriebene Besitzer von Automobilen oder Motorfahrrädern nahmen mit ihren Fahrzeugen zwei bis viermal jährlich an militärischen Übungen teil. Sie leisteten ihren Dienst uniformiert; die Bewaffnung bestand üblicherweise aus einem Degen und einem Revolver. Bekannt ist der um 1912 für Angehörige des österreichischen Automobilkorps eingeführte Degen mit einem vernickelten Gefäss aus Eisen oder Messing, dessen Stichblatt ein beidseitig geflügeltes Radpaar sowie die Beschriftung «K. K. ÖSTERR. FR. AUTO-KORP.» zeigt. Im Kriegsfall beabsichtigte man, Autos und Fahrer den Stäben der verschiedenen Armeekorps zuzuteilen. Ausser den Besitzern und Fahrern von Automobilen, Lastwagen und Motorrädern, die bei einer Mobilmachung einberufen werden konnten, verfügte die k. u. k. Armee seit 1912 über motorisierte Artillerieabteilungen. Zu Beginn des 1. Weltkriegs 1914 standen bereits zehn Batterien mit 30,5 cm Mörsern und zehn Batterien mit 24 cm Mörsern für Automobiltraktion zur Verfügung.

Bei dem vorliegenden Seitengewehr für einen Offizier des Automobilkorps (später Kraftfahrtruppe) scheint es sich nicht um ein offizielles Modell, sondern um eine auf Grund privater Initiative angefertigte, jedoch tolerierte Waffe zu handeln. Sie wurde in der Waffenfabrik von E. Zeitler in Wien hergestellt, der die Armee und Private mit Griffwaffen belieferte. Die Parierstangenarme des seltenen, vorzüglich erhaltenen Seitengewehrs zeigen auf der Vorderseite rechts das Symbol der Kraftfahrtruppe, links der Telegraphen; auf der Rückseite erscheint rechts ein Ballon mit Gondel, Zeichen für die Luftfahrtruppe, links eine Variante des Telegraphensymbols. Die festgestellten verschiedenen Waffengattungssymbole deuten darauf hin, dass als mögliche Träger dieses Seitengewehrs nicht nur Offiziere der Kraftfahrtruppe in Frage kommen. Eine Verwendung beispielsweise durch Offiziere der Luftfahrtruppe wurde durch den Umstand erleichtert, dass sich die Parierstange des verschraubten Gefässes ohne weiteres wenden lässt, so dass das Zeichen der Luftfahrer auf die Aussenseite der Waffe zu liegen kommt. Der seit 1912 für das Automobilkorps nachgewiesene Degen erwies sich schon bald als unpraktisch; die im 1914 ausgebrochenen Weltkrieg gesammelten Erfahrungen scheinen vor allem bei den Offizieren der Kraftfahrtruppe den Wunsch nach einer kürzeren Griffwaffe geweckt zu haben. Nicht nur für Offiziere der Kraftfahrtruppe, auch für Offiziere der Luftfahrtruppe oder der Telegraphen regimenter wären kurze Griffwaffen von Vorteil gewesen. Die Firma E. Zeitler bemühte sich mit dieser von mehreren Waffengattungen verwendbaren Neuschöpfung ins Geschäft zu kommen. Das auf dem Stichblatt festzustellende Hoheitszeichen bestehend aus einer Folge von drei Wappen, Österreich, Kaiserreich mit Kollane des goldenen Vliess sowie Ungarn wurde erst 1917 unter Kaiser Karl I. eingeführt.

(Gerhard Hernach und Erich Artlieb danke ich für die erteilten Auskünfte).
Literatur: Petr Konopisky, Petr Moudry, Blankwaffen der Habsburgermonarchie des 17. – 20. Jh., Prag 1992, S. 78/79, 121, 143. Uniformen, Distinktions- und sonstige Abzeichen der gesamten österreich-ungarischen Wehrmacht, in übersichtlicher Farbendarstellung mit erläuternder Beschreibung, nach authentischen Quellen neu bearbeitet von k. k. Major M. Judex, Troppau 1908, 1. Nachtrag, S. 88 ff. Automobilkorps. Ranglisten des k. u. k. Heeres 1917, Wien 1917, S. 1174, 1180/1181. Ortner / Artlieb, Blankwaffen op. cit., S.322-325.