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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: S 2148

Schnappschlossgewehr, Jagdwaffe, französisch, um 1645/1650, Claude Roux, Büchsenmacher, Lyon

Rundlauf (Länge 128 cm), Kaliber 16 mm, Kammerdrittel achtkantig, signiert «LAZARI COMINAZ», zwischen zwei waagrecht gestellten «Kronenzeichen»; nach «LAZARI» ein kleiner Zwischenraum mit zwei stilisierten «Dreiblättern». Einfaches Standvisier und Korn aus Messing. Schnappmechanismus für Steinschloss mit einem Vollspannzahn, der beim Hahn unten links durch die Schlossplatte stösst. Innen verschraubter Hahn mit Arretiereinschnitt, Batteriefeder innen liegend, Hahn und Batteriedeckel innen verschraubt. Flache Schlossplatte, signiert «A Lyon Par Claude Roux», beide Plattenenden sowie Hahn weisen einen gravierten Blumendekor auf. Abzugbügel (Guss) und Kolbenkappe Messing (Blech), drei Ladestockpfeifen, zwei aus Messingblech, eine weitere im Mündungsbereich aus Eisenblech. Nussbaumschaft etwas defekt, Kolben mit Schuber. Auf der Kolbenbacke die geschnittenen Initialen «HR» in wappenförmiger Kartusche sowie separat ein «R», Holzladestock alt ergänzt.

Gesamtlänge: 167 cm, Gewicht: 3090 g
Provenienz: unbekannt.

Kommentar

Von den sieben zur Zeit bekannten Waffen des in Lyon tätigen Büchsenmachers Claude Roux befinden sich drei in der vom schwedischen Generalfeldmarschall Carl Gustav Wrangel (1613 – 1676) angelegten und im Schloss Skokloster, dem Stammsitz, untergebrachten Waffensammlung. Noch vorhandene Inventare und Korrespondenz aus den Jahren 1647/48 geben Aufschluss darüber, wie Wrangel in den Besitz dieser Waffen – ein Steinschlosswender, eine lange Steinschlossflinte und ein Paar Steinschloss-Wenderpistolen – gelangte. Die Vorliebe Wrangels für qualitätvolle zeitgenössische Schusswaffen, waffentechnisch neue oder ausgefallene Konstruktionen, war bekannt und veranlasste Fürsten, Offiziere, aber auch dankbare oder besorgte Bürgermeister dem einflussreichen schwedischen Oberbefehlshaber Gewehre und Pistolen zu schenken.
Die Beförderung Wrangels zum Feldmarschall und Oberbefehlshaber der in Deutschland stationierten schwedischen Truppen nahm der Zürcher Johann Rudolf Werdmüller (1614 – 1677) zum Anlass, dem Generalissimus 1646 ein doppelläufiges Steinschloss-Wender¬gewehr von Roux zukommen zu lassen. Werdmüller, seit 1642 in schwedischen Diensten, seit 1643 Oberst, befand sich 1646 in einer misslichen Lage, weil der Zürcher Rat sein Gesuch, weiterhin in schwedischen Diensten verbleiben zu dürfen, ablehnte. Wie der Rat ihm bedeutete, lag es nicht im Interesse der Stadt, dass ein Mitbürger an exponierter Stelle gegen Habsburg-Österreich kämpfte und damit die 1474 zwischen Österreich und der Eidgenossenschaft vereinbarte «Ewige Richtung» oder «Erbeinung» gefährdete. Die in etwa gleichaltrigen Werdmüller und Wrangel hatten 1642 beide unter dem schwedischen General Horn gedient, sich kennen und schätzen gelernt. Von Wrangel erhoffte sich Werdmüller eine Fürsprache beim Zürcher Rat; Wrangels besonderer Geneigtheit versuchte er sich mit einem Gewehrgeschenk zu versichern. Erwartungsgemäss legte sich der neue schwedische Oberkommandierende für den inzwischen zum Generaladjutanten beförderten Werdmüller persönlich ins Mittel und richtete ein entsprechendes Schreiben an Zürich, das am 20. Februar 1647 höflich aber abschlägig beantwortet wurde. Widerwillig kehrte Werdmüller im Verlauf des Jahres nach Zürich zurück und war 1647/48 insgeheim als Agent Wrangels tätig, welchem er Neuigkeiten aus der Schweiz und Italien berichtete. Durch den Erfolg seines Gewehrgeschenks, die Wertschätzung, welche Wrangel für die Wenderkonstruktion von Roux bezeugte, ermutigt, gab Werdmüller im Frühjahr 1647 bei Roux für Wrangel eine ungewöhnlich lange Steinschlossflinte und späterhin ein Paar exquisite Wenderpistolen in Auftrag. Es bereitete einige Mühe, die zuerst von Lyon nach Zürich gelieferten Waffen ins schwedische Hauptquartier weiterzuleiten. Dank Werdmüllers Einfallsreichtum fanden sie dennoch den Weg in Wrangels Rüstkammer. Trotz Werdmüllers freundschaftlicher Beziehung zu Wrangel, ungeachtet seiner Agententätigkeit, Waffenschenkung und Waffenvermittlung blieb dem Zürcher die Rückkehr in schwedische Dienste verwehrt, so dass er 1648 ein Angebot Venedigs akzeptierte.
Die Bevorzugung eines Lyoner Büchsenmachers durch Werdmüller, in dessen Vaterstadt Zürich zu jener Zeit der renommierte Goldschmied und Büchsenmacher Felix Werder tätig war, bedarf einer Erklärung. Hans Rudolf, der nachmalige General, und Hans Georg, die beiden Söhne des im Seidenhandel reich gewordenen Hans Rudolf Werdmüller (1570 – 1617), hatten 1627/30 Studienjahre in Genf verbracht und zogen im November 1630 mit ihrem Hofmeister weiter nach Lyon. Dort wurden sie vor allem vom Militäringenieur Vaucelles in der Fortifikationswissenschaft unterrichtet. Während seinem neunmonatigen Aufenthalt in Lyon dürfte der an Waffen interessierte Hans Rudolf Werdmüller auch die -Bekanntschaft der ansässigen Waffenschmiede, damit auch des Büchsenmachers Roux gemacht haben. Sein Können als Schütze hatte Werdmüller bereits in Genf unter Beweis gestellt. Am 5. April 1630 wurde er Schützenkönig der Genfer Bogenschützen und erhielt das Bürgerrecht ehrenhalber; einen Monat später am 6. Mai krönte man ihn zum «Roi de l’Arquebuse».
Mit Claude Roux und Claude Cunet waren von ca. 1635 – 1650 in Lyon zwei äusserst fähige Büchsenmacher tätig, deren Erzeugnisse von in- und ausländischen Kunden geschätzt wurden. Beide produzierten Steinschlosswaffen mit Wendersystemen. Dieser schon im 16. Jahrhundert in Deutschland und Italien nachweisbare Waffentyp scheint in Frankreich (Paris, Sedan und Lyon) weiter entwickelt worden zu sein und schon bald in Liège und Holland Nachahmer gefunden zu haben. Dank den Lyoner Geschäftsbeziehungen der väterlichen Seidenhandelsfirma, die später in seinen Besitz überging, konnte sich Werdmüller jederzeit über die Aktivitäten von Roux unterrichten lassen, Waffen erwerben oder, wie im Falle Wrangels, in Auftrag geben. Der gute Ruf des von Werdmüller als Kenner der Materie geschätzten Lyoner Büchsenmachers beruhte offensichtlich auf der diskreten Qualität seiner Lauf-, Wender- und Schlosskonstruktionen, die er geschäftet in schlichter Eleganz zu ¬präsentieren verstand.
Zu den innovativen Besonderheiten von Roux zählen neben dem Wendersystem, Jagdgewehre mit sehr langen Läufen, auch die Verwendung von Schnappschlössern. Das von Roux produzierte und signierte Schloss, eine Variante des holländischen Schnappschlosses, erinnert konstruktionsmässig an gewisse englische, ebenso an italienische Schnappschlösser «alla fiorentina». Für die These von Arne Hoff, dass das Schnappschlosssystem über Frankreich nach Italien gekommen sei, liefert dieses Gewehr einen weiteren Beleg.
Bei dem mit «Lazari Cominaz» signierten Lauf dürfte es sich, wie ein Vergleich mit originalen Cominazziläufen und Signaturen ergab, dennoch um eine Arbeit von Roux handeln, der sich, wie ein 176 cm langer Lauf für die bereits erwähnte Entenflinte (Skokloster Inv. 6051) zeigt, auf das Schmieden qualitativ hochwertiger Läufe verstand. Wenn Roux einen Lauf im italienischen Stil mit einer Cominazzi-Signatur versah, so profitierte er schon damals vom Ruf dieser berühmten in Gardone im Hinterland von Brescia aktiven Laufschmiededynastie. Der Blumendekor von Schlossplatte und Hahn stimmt weitgehend mit dem von Werdmüller 1646 Wrangel geschenkten Wender überein. Das noch original geschäftete Gewehr ist ein frühes und seltenes Beispiel für die Anwendung des Schnappschlosssystems in Frankreich.
Eine Steinschloss-Wenderpistole signiert «Roux A Lyon», aus altem Zürcherbesitz, gelangte 1992 zur Auktion und befindet sich heute in einer Privatsammlung. Über den Verbleib eines mit vergoldeten Löwenkopfknäufen ausgestatteten Pistolenpaars aus der Slg. Diderrich, ebenfall von Roux, das 1931 in einer Ausstellung des Metropolitan Museum of Art, New York, gezeigt wurde, sind wir nicht unterrichtet. Abschliessend sei noch ein Wendergewehr im Museo Castel Sant Angelo in Rom erwähnt, welches vermutlich im 18. Jahrhundert neu geschäftet und etwas gekürzt wurde
Literatur: Nolfo di Carpegna, Brescian Firearms, Rom 1997, S. 227/272, «The Cominazzi». J. F. Hayward, Die Kunst der alten Büchsenmacher, Hamburg/Berlin 1965, Bd. 1, S. 212. Heer, Støckel II op. cit., S. 1075. Hoff, Feuerwaffen I op. cit., S. 200/205, 220, Bd. II, S. 247/251, Abb. 184. Torsten Lenk, The Flintlock: its origin and development, New York 1965, S. 49/50, Tafel 26, Nr. 1. Åke Meyerson, Carl Gustav Wrangel och bössmeden Claude Roux i Lyon – kring en nyfunnen förteckning over Wrangelska rustkammaren, Livrustkammaren Vol XIII: 7/8, Stockholm 1974, S. 259/276. Åke Meyerson, Lena Rangström, Wrangel’s Armoury, The weapons Carl Gustav took from Wismar and Wolgast to Skokloster 1645 and 1653, o. O. 1984, S. 54, S. 217, Nr. 145, S. 219/220, Nr. 147, S. 279, Nr. 15. Loan Exhibition of European Arms and Armor, The Metropolitan Museum of Art, New York 1931, S. 83, Nr. 333. Galerie Fischer, Luzern, 11./12. 6. 1992, Nr. 8360.