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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: S 1228

Schwert, Anderthalbhänder, Gerichtsschwert der Stadt Sursee
schweizerisch/deutsch, Ende 15. Jahrhundert

Eisengefäss gebläut, langer, konischer Achtkantknauf, der sich im oberen Viertel konisch verjüngt, vierblättrige Vernietrosette. Parierstange mit leicht ortwärts gebogenen, auf der Rückseite flachen, vorne gegrateten Armen, Abschlüsse blank belassen. Sechskantiger, lederbespannter Griff, nach der Mitte gegen den Knauf hin schmaler werdend. Ansatz, Mitte und Ende des Griffes mit bandartiger Drahtwicklung.
Zweischneidige Klinge (Länge 96 cm, Breite 6,6 cm), bis zur Klingenmitte ein flacher Mittelhohlschliff, beidseitig messingtauschierte Marken: 1. Wolfsmarke, Passau (Länge 2,2 cm), 2. Sechsstrahliger Stern, Meistermarke (Durchmesser 1 cm). Lederbespannte Scheide, geprägter Liniendekor, Eisenstiefel alt ergänzt.

Gesamtlänge: 132,5 cm, Gewicht (ohne Scheide): 2160 g, Gewicht (mit Scheide): 2500 g
Provenienz: Alter Besitz der Stadt Sursee, ursprünglich im Archivturm aufbewahrt.

Kommentar

Für grosse Schwerter des 15. und 16. Jahrhunderts haben sich in der historischen Waffenkunde basierend auf zeitgenössischen Bezeichnungen die Begriffe «Zweihänder» und «Anderthalbhänder» (Schwert zu anderthalb Hand) eingebürgert. Um einen Zweihänder führen zu können, muss das Griffstück mit beiden Händen voll umfasst werden, bei Anderthalbhändern hält die rechte Hand den Griff, die Linke als «Hilfshand» umschliesst den Knauf. Weil der Griff des Anderthalbhänders jedoch für zwei Hände genügend Platz bietet und daher auch in der Art eines Zweihänders verwendet werden kann, lassen sich Anderthalbhänder vor allem über Länge und Gewicht von den Zweihändern abgrenzen. Ein weiteres, wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist der militärisch-taktische Stellenwert dieser Waffen. Die Anderthalbhänder gewannen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als «grandes épées» oder «longues épées à deux mains bien tranchans et roydes pour servir d’estoc» in Frankreich und Burgund an Bedeutung. Sie dienten, an einem Riemen über die Schulter gehängt und auf dem Rücken getragen, z. B. den berittenen burgundischen Armbrust- und Bogenschützen gemäss Ordonnanzen von 1472/73 und 1475 als «Zweitwaffe». Im Verlauf des 15. Jahrhunderts wurden gewisse für Stossklingen, auch für Klingen zu Hieb- und Stoss eingerichtete Schwerttypen mit immer längeren Griffstücken ausgestattet, wobei sich die Länge der Klingen mehr oder weniger konstant im Bereich von ca. 100 cm bewegt. Bereits 1479 sieht sich der bernische Rat veranlasst, die Verwendung von «langen, ungewöhnlichen Schwertern» zu untersagen. Vor allem Schwerter mit Stossklingen, in den Quellen als «lange Krüztegen» (Kreuzdegen) bezeichnet, waren in der Schweiz nicht nur der bernischen Obrigkeit ein Dorn im Auge. Als Zweitwaffe akzeptierte man Schweizerdegen oder die herkömmlichen Schwerter mit relativ kurzen Klingen zu Hieb und Stich. Beim längeren und schwereren Zweihänder (Gesamtlänge zwischen 150 – 200 cm, Gewicht um 3000 – 5000 g), handelt es sich um eine «Erst- oder Hauptwaffe», die geschultert mitgetragen werden musste. Im Gegensatz zum Anderthalbhänder kam dem optisch eindrücklicheren Zweihänder, der sich im 16. Jahrhundert als Trabanten- und Gardewaffe zunehmender Beliebtheit erfreute, keine militärische Bedeutung mehr zu.
Die Herstellung langer Klingen, wie sie für Anderthalbhänder und Zweihänder benötigt wurden, setzte geeignete Eisensorten, besondere handwerklich-technische Kenntnisse und für den Betrieb der Hammerwerke das Vorhandensein von Wasserkraft voraus. Obschon beispielsweise in Basel seit dem 14. Jahrhundert bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ein bedeutendes, exportorientiertes Messerschmiedehandwerk ansässig war, scheint dieses nicht in der Lage gewesen zu sein, lange, qualitativ gute Klingen zu produzieren. Als Lieferant vor allem langer Schwertklingen trat seit dem 15. Jahrhundert die am Zusammenfluss von Inn und Donau gelegene Stadt Passau in Erscheinung. Viele noch erhaltene Schwerter von 1450 – 1550 aus schweizerischen Altbeständen (z. B .Zeughäuser, Rathäuser, Familienbesitz) weisen die «Wolfsmarke», in Anlehnung an das Wolfswappen der Stadt Passau, auf (vgl. Wegeli, S. 323, «Wolfsmarken», Nrn. 164, 171, 176, 181, 187, 207). Diese wurden im 15./16. Jahrhundert mit einzelnen Meisselschlägen auf den Klingen angebracht und mit Messing tauschiert. Die Passauer Messerer waren schon um 1200 aktiv, sicherten sich innerhalb des bischöflichen Hoheitsgebiets im 13./14. Jahrhundert das ausschliessliche Recht zur Fertigstellung und zum Verkauf von Messern. Sie erwirkten 1340 von Herzog Albrecht von Österreich den Schutz des «Wolfs», ihres Warenkennzeichens. Die «Klinger» oder Klingenschmiede, deren Produkten Passau zu einem Gutteil seine Bekanntheit verdankt, konnten sich erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aus der Bevormundung durch die Messerer lösen, welche sich mittels Privilegien die Qualitätskontrolle und das Handelsmonopol für Messerwaren und Klingen gesichert hatten. Persönliche Meistermarken kamen in Gebrauch, nachdem die Klinger nach 1450 dazu übergegangen waren, ihre Erzeugnisse direkt in den Handel zu bringen. Die Wolfsmarke diente als Herkunfts- und Qualitätsangabe. Die Klingen wurden im Verlauf ihrer Herstellung gemarkt, bereits mit dem Wolfszeichen versehen und erst anschliessend zur Prüfung vorgelegt.
Schweizerischen Zolltarifen des 14./15. Jahrhunderts ist zu entnehmen, dass neue Schwertklingen pfund-, zentner- und saumweise die Zollstätten passierten und nach Gewicht oder Volumen verzollt wurden. Auch das spätgotische Gefäss des Surseer Anderthalbhänders, vermutlich von der Hand eines schweizerischen Schwertfegers, wurde mit einer importierten Passauerklinge versehen. In der Sammlung Dreger befand sich ein ähnlicher, dem Vernehmen nach aus der Schweiz stammender Anderthalbhänder mit Scheide, dessen Klinge ebenfalls eine Wolfs- sowie eine Sternmarke aufweist. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang ein Schwert mit Passauerklinge, gleichem Knauf und Parierstange wie die vorliegende Waffe, welches 1878 im Murtensee gefunden wurde (Slg. Boissonnas, Nr. 116). Eine weitere vergleichbare Waffe befindet sich im Schweiz. Landesmuseum und stammt aus altem Zürcher Zeughausbesitz (Inv. KZ 688).
In einem kurzen Zeitungsartikel von 1953 bezeichnet Carl Beck beide aus dem Besitz der Stadt Sursee stammenden Waffen als Richtschwerter (vgl. Kat. Nr. 2). Er äusserte zudem die Vermutung, dass das zweite, etwas jüngere Schwert anlässlich der von Luzern angeordneten Enthauptung des Bauernführers Christian Schybi am 7. Juli 1653 in Sursee Verwendung gefunden habe. Der für die Hinrichtung Schybis zugezogene Scharfrichter Hans Mengis forderte für die Erledigung dieses Auftrags 2 Gulden 20 Schilling. Vertreter der aus Rheinfelden stammenden Familie Mengis übten über mehrere Generationen an verschiedenen Orten, auch in Luzern, Sursee und Willisau, das Scharfrichteramt aus. Die Surseer Schwerter unterscheiden sich deutlich von den im 17. Jahrhundert gebräuchlichen Richtschwertern, welche in jener Zeit bereits ihre feste Form gefunden hatten.
Dass die Schwerter während langer Zeit im Archivturm aufbewahrt worden sind, spricht für die Wertschätzung die man ihnen entgegenbrachte, in einer gewissen Art und Weise auch für ihren «amtlichen Charakter». In mehreren Arbeiten hat sich vor allem Gottfried Boesch mit schweizerischen Zeremonialschwertern auseinandergesetzt. Die von Boesch erfassten, teilweise noch erhaltenen Schwerter symbolisieren im Falle geistlicher Herrschaften, z. B. des Klosters Engelberg oder Disentis, die herrschaftlich-gerichtlichen Kompetenzen des Abtes, die mit der Übergabe des Schwertes delegiert werden konnten. Die zweite von Boesch bearbeitete Gruppe betrifft die Zeremonialschwerter der «urschweizerischen» Landammänner, die sogenannten Landesschwerter. Sie sind ebenfalls Symbole der richterlichen Gewalt. In einem Schwyzer Gerichtszeremonial wohl aus dem 17. Jahrhundert wird denn auch festgehalten: «…so man ofenlich underm Himmel und nitt mit beschlossnen thürn richtet… sol der Richter anngethonne Hentschen unnd das Richterschwert jnn Henden haben…». Andernorts wurde im Verlauf von Verhandlungen das «Richterschwert» oder «Gerichtsschwert» auf den Tisch gelegt. Der Ausübung der richterlichen Gewalt kam auch in den Städten grosse Bedeutung zu. Leider hat Boesch die Gerichtsschwerter» von Schweizer Städten nicht in seine Untersuchungen miteinbezogen. Die Existenz von «Gerichtsschwertern» ist aufs engste mit der Ausübung der hohen Gerichtsbarkeit, dem Blutbann verknüpft. Nachdem König Sigmund 1431 Sursee das bereits 1417 erteilte Recht, in Blutgerichtsfällen urteilen zu können, bestätigte, anerkannte auch Luzern die Surseer Blutgerichtsbarkeit. Schon 1376 und 1379 wurden Sursee entsprechende königliche Privilegien erteilt, welche die Ausübung der niederen und hohen Gerichtsbarkeit ermöglichten. Bis zum Ende des Ancien Régime lagen die entsprechenden Befugnisse beim Stadtgericht von Sursee unter der Leitung des Schultheissen. Dem Schultheiss oblag es, über das «Blut» zu richten und das Vollstreckungsverfahren zu überwachen. Ein Surseer Abschriftenbuch von 1577 gibt Auskunft über das Vorgehen bei Blutgerichtsverhandlungen, wobei es gewisse prozessuale Abläufe und Rituale einzuhalten galt: «Kurtzer Uszug und formular über das Bluot zuorichten nach bruch und Rächt der Statt Sursee, Erneüwert im iar Christi, gezahlt 1577». Unter anderem musste sich der Schultheiss erheben und mit der rechten Hand das Schwert halten, wenn er den Angeklagten unter Eid zum Gerichtsverfahren und über die Rechtmässigkeit der ¬Zusammensetzung des Gerichts befragte. Die beiden Surseer Gerichtsschwerter (vgl. Kat. Nr. 2) waren für die sich ablösenden Schultheissen des Sommer- und des Wintergerichts bestimmt. Beinahe alle schweizerischen Zeremonialschwerter gehören noch dem ausklingenden Mittelalter an. Städtische oder regionale Gerichtsschwerter sind bisher für Luzern, Mellingen (Kt. Aargau), Arbon (Kt. Thurgau), Talschaft Ursern (Kt. Uri) und das Knonaueramt (Kt. Zürich) bekannt.
(Dr. Stefan Röllin, Stadtarchivar Sursee, danke ich für die erteilten Auskünfte.)
Quellen und Literatur: Stadtarchiv Sursee, Archiv Alte Stadt, Abschriftenbuch 1577, S. 33. Carl Beck, Die Richtschwerter von Sursee, Luzerner Landbote, Nr. 75, 18.September 1953. Gottfried Boesch, Luzerner Richt- und Zeremonialschwerter, Festschrift Karl Bader, Zürich 1965, S. 65/68, Nr. 1. Gottfried Boesch, Miszellen zu schweizerischen Zeremonialschwertern, Forschungen zur Rechtsarchaeologie und rechtlichen Volkskunde, hg. Louis Carlen, Bd. 3, 1981, S. 201/208. Gottfried Boesch, Das kaiserliche Schwert, die Zeremonialschwerter der urschweizerischen Landammänner, Geschichtsfreund Bd. 118, 1965, S. 5/44. Gottfried Boesch, Schwerter aus Uri, Historisches Neujahrsblatt Uri, Nr. 20/21, 1965/66, S. 50/64. Alte Waffen aus der Schweiz, Sammlung C. Boissonnas, Genf, Berlin, o. J. (ca. 1912), S. 20, Nr. 116, Tafel XXVII. Clément Bosson, L’épée à deux mains, Blankwaffen, Festschrift Hugo Schneider, Stäfa 1982, S. 45/56. Max Dreger, Waffensammlung Dreger, Berlin/Leipzig 1926, S. 146/147, Nr. Dr. 55, Tafel 27. E. A. Gessler, Vom Kreuzdegen, Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde NF 24, Zürich 1922, S. 157/175. Hans Mühlestein, Der grosse schweizerische Bauernkrieg 1653, Celerina 1942, S. 609. Schmid, Passauer Waffenwesen op. cit., S. 317/342. Schneider, Griffwaffen I op. cit., S. 44, Nr. 57, S. 52, Nr. 67. Seitz, Blankwaffen I op cit., S. 162/169, Abb. 101, 104/105. Martina Stercken, Kleinstadt, Herrschaft und Stadtrecht, Festschrift 700 Jahre Stadtrecht Sursee 1299 – 1999, Sursee 1999. Werner Schnyder, Mittelalterliche Zolltarife aus der Schweiz IV, Zollstellen der Ost- und Zentralschweiz, Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 18, 1938, S. 171/172, Nr. 13, S.186, Nr. 26. Lois militaires de Charles de Bourgogne, de l’an 1475, Der Schweizerische Geschichtsforscher, 2. Bd., 1814, S. 430/431. Galerie Fischer, Schwerter-Sammlung Dreger-Berlin, Luzern, 2. 8. 1927, Nr. 60, Tafel XI. S 1228. Heinz Huther, Die Passauer Wolfsklingen, Legende und Wirklichkeit, Neue Veröffentlichungen des Instituts für ostbairische Heimatforschung der Universität Passau, Bd.59, Passau 2007. Mäder, Klingen op. cit., S.70-73.