zurück
zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 620

Hirschfänger,
deutsch, um 1855/1860

Eisengefäss, aus gegossenen, geschnittenen und ziselierter Teilen zusammengesetzt. Kolbenförmiger, konischer, im Knaufbereich gerundeter Griff, beidseitig ein ganzflächiger Akanthusdekor. Griffbasis konisch, darüber eine Scheibe, die mit dem Griffstück fixiert wurde. Parierstange mit ortwärts gebogenen Armen. Die vierkantigen Parierstangenarme sind auf der Oberseite gerillt, die beidseitig der Griffbasis angebrachten, ovalen, auf der Oberseite gerundeten Parierringe weisen eine flache Basis auf. Unter der Parierstange eine zweifach verschraubte Mundblechabdeckung.
Zweischneidige Klinge (Länge 46,5 cm, Breite 2,2 cm), im Wurzelbereich linsenförmig mit ornamentalem, vergoldetem Ätzdekor, dann sechskantig und geflammt. Fischhautbespannte Scheide, Eisengarnitur, Mundblech beidseitig mit Traghaken, Stiefel. Die Scheidengarnitur wurde beidseitig mit Akanthusblättern und Ranken in der Art des Griffes dekoriert.

Gesamtlänge: 60,5 cm, Gewicht (ohne Scheide): 380 g, Gewicht (mit Scheide): 560 g
Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 2. 12. 1968, Nr. 80.

Kommentar

Für den um 1855/1860 entstandenen Hirschfänger fand eine geflammte, deutsche Degenklinge aus dem 18. Jahrhundert Verwendung. Die schmale, eher schwache Klinge mit Wellenschliff war für den praktischen jagdlichen Gebrauch denkbar ungeeignet. Es scheint sich denn auch weniger um eine Gebrauchswaffe, als um eine Einzelanfertigung zu handeln, bei welcher hauptsächlich die handwerkliche Qualität und dekorative Aspekte von Bedeutung waren. Gerade in der Zeit der ersten Londoner Weltausstellung von 1851 lässt sich ein Stilpluralismus feststellen, zu dessen Charakteristik das Stilgemisch zählt. So erscheinen an ein und demselben Gegenstand klassizistische oder gotische Ornamente, auch Rokokovoluten, gemischt mit Naturformen. Stilistische Anleihen aus allen Epochen des Abendlandes wurden ungeniert vermengt und zusätzlich mit Blumen, Weinlaub, Ranken usw. dekoriert. Grossen Wert legte man auf den virtuosen Umgang mit alten und neuen Werkstoffen, ebenso auf die handwerkliche Fertigkeit. Die grosse Wertschätzung, die man dem handwerklichen Können früherer Generationen entgegenbrachte, zeigt sich u. a. auch bei einigen in der Zeit des Historismus unter Verwendung qualitativ hochwertiger alter Gefässe oder Klingen hergestellten Griffwaffen. So stattete der französische Büchsenmacher und Waffenhändler, Henry Le Page (1792 – 1854), ein hochbarockes Degengefäss des Zürcher Goldschmieds Hans Peter Oeri (1637 – 1692) schon um 1833 mit einer im neugotischen Stil geätzten Klinge aus und versah diese mit der launigen Inschrift, «Car la Chose cher achetée est souventefois mieux aimée».
Im Falle der vorliegenden hirschfängerartigen Waffe scheint nicht das Gefäss, sondern die Existenz einer schönen Klinge den unbekannten Handwerker-Künstler zur Herstellung einer Waffe veranlasst zu haben. Das Gefäss verrät formale Anleihen bei Dolchen des frühen 17. Jahrhunderts. Als Werkstoff wurde Eisen gewählt. Der vorzüglich geschnittene Akanthusdekor basiert möglicherweise auf Vorlagen, wie sie in Musterbüchern um 1850 erscheinen. Scheiden mit seitlichen Traghaken fanden seit ca. 1800 in Frankreich bei speziellen Griffwaffenmodellen der Marine, sowie für die eindrücklichen Säbel der Tambourmajore Verwendung. Auch bei deutschen Hirschfängern lassen sich seit ca. 1850 Scheidentraghaken feststellen (vgl. Kat. Nr. 44).
Literatur: Barocker Luxus, Das Werk des Zürcher Goldschmieds Hans Peter Oeri, 1637 – 1692, hg.
H. Lanz, Jürg A. Meier, M. Senn, S. 114/116, Nr. 12. Boccia/Godoy, Museo Poldi Pezzoli II op. cit., S. 464/465, Nrn. 740, 741, Abb. 844, 845. Lhoste/Resek, Sabre op. cit., S. 108/110,128/130. Barbara Mundt, Historismus, Kunstgewerbe zwischen Biedermeier und Jugendstil, München 1981,
S. 17/54, speziell S. 23, Abb. 23, Akanthusdekor, S. 48. Seifert, Hirschfänger op. cit., S. 56, Abb. 71. Jagdschätze im Schloss Fuschl, hg. Dr. Carl Adolf Vogel, München/Zürich 1974, S. 28/29, Abb., Waffen teilweise falsch datiert.