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zur Zeit nicht ausgestellt
Inv.-Nr.: Be 5

Richtschwert, deutsch, 2.oder 3.Viertel 17.Jahrhundert. Solingerklinge mit nachgeahmter Passauer-Wolfsmarke

Eisengefäss, Knauf mit langem konischen Ansatz, Knaufwandung leicht konkav, Abschluss mit Nietfläche gerundet. Parierstange mit achtkantigen Armen, die gegen das Ende hin etwas dicker werden, Enden mit kleinen Abschlussknöpfchen. Auf der Unterseite einer Parierstange die geschlagene römische Zahl «X». Gerundeter Holzugriff mit Schnurbespannung, an beiden Griffenden Zierbänder mit bräunlichen Fransen.
Zweischneidige Klinge ( Länge 79,6 cm, Breite an der Wurzel 5,5 cm, im Ort 4,5 cm ), linsenförmiger Querschnitt, flacher Mittelhohlschliff, Ort gerundet, verwischte oder beriebene messingtauschierte Marken und Zeichen: Beidseitig eine «Herzmarke», wobei über der Herzspitze ein kleines Kreuz angebracht wurde, ebenso beidseitig zweimal eine gerade Folge von drei kleinen Kreuzen. Terzseitig stark vereinfachte «Wolfsmarke», quartseitig sehr einfache, stilisierte Darstellung eines Galgens, eines Rades sowie eines Krummstabs (?).

Gesamtlänge: 100,8 cm Gewicht: 1950 g
Provenienz: Dr.Giesker, Zürich 1952.

Kommentar

Im Beitrag , «Das Richtschwert in Bayern», 1970 in der ZHWK publiziert, erfasst Ulrich Kühn insgesamt 88 bayerische Richtschwerter von ca.1500 bis ins frühe 19.Jahrhundert, Teilabdruck seiner Dissertation, «Inschriften und Verzierungen auf Richtschwertern, ihre Deutung aus der Person des Scharfrichters», die 1969 von der Universität Erlangen angenommen wurde. Weil es sich um die einzige Untersuchung zum Thema Richtschwerter in Deutschland handelt, die auf einer breiteren materiellen Basis durchgeführt worden ist, soll sie zu Vergleichszwecken herangezogen werden. Für die Schweiz, aber auch andere Länder, fehlt eine vergleichbare Arbeit.
Als charakteristisches Merkmal der Richtschwerter bezeichnet Kühn, ebenso andere Autoren, die Klinge, welche bei annähernd gleichbleibender Breite im Ort nicht wie bei Schwertern üblich zugespitzt sondern mehr oder weniger stark gerundet, zuweilen sogar eckig sind. Nur 8 der von Kühne erfassten 88 Waffen weisen einen spitzen Ort auf, wobei bei mindestens der Hälfte der acht fraglichen Waffen der Gebrauch als Richtschwert nicht sicher nachgewiesen werden kann. 51 von 88 Richtschwertern sind mit einem Mittelhohlschliff von ca. 15 - 62 cm ausgestattet, bei der vorliegenden Waffe misst die «Blutrinne», wie Kühne den Mittelhohlschliff bezeichnet, 58 cm. Die Länge des Mittelhohlschliffs beeinflusst die Lage des Waffenschwerpunktes. Durch die Auskehlung im Bereich des Klingenansatzes verlagert sich das Gewicht zum Ort hin. Mit der Verlängerung und Verbreiterung des Mittelhohlschliffs liess sich das Schwert ausbalancieren, die Wucht und die Sicherheit des Hiebs wurden verbessert. Die Klingenlänge eines Grossteils der von Kühne untersuchten Richtschwerter bewegt sich zwischen 80 und 90 cm, das Exemplar aus der Slg.C.Beck hat vergleichsweise eine Klinge von 79,6 cm Länge. Die Klingenbreite verjüngt sich gegen den Ort zumeist nur recht geringfügig, bei der Waffe der Slg.C.Beck von 5,5 auf 4,5 cm. Weil die Verjüngung der Klinge zumeist minim ist ergibt sich der Eindruck von parallel laufenden Schneiden.
Obschon die Klinge mit dem für Passau üblichen Wolf gezeichnet wurde, lässt sich mit Hilfe der Herzmarke mit Kreuz ein Bezug zu Solingen herstellen. Aus einem Kaufbrief vom 14.März 1664, welchen der Solinger Klingenschmied Clemens Keisser in einem Streitfall vorlegte, geht hervor, dass Heinrich Dültgen das Zeichen «Herz mit dem Kreuz» an Friedrich Herbertz verkaufte. Das besagte Zeichen dürfte somit schon um die Mitte des 17.Jahrhunderts, wenn nicht schon früher existiert haben. Die symbolische Darstellung von weiteren Hinrichtungsarten, Galgen und Rad, war auf Richtschwertklingen verbreitet. Die einfachen Kreuzgefässe der Richtschwerter wurden anfänglich ausschliesslich aus Eisen gefertigt. Messing erlangte im 17.Jahrhundert in zunehmendem Masse an Bedeutung und war seit der 2.Hälfte des 17.Jahrhunderts, aber auch im 18.Jahrhundert das bevorzugte Gefässmaterial für deutsche Richtschwerter.
Als spezieller Schwerttyp entwickelte sich das Richtschwert im 2.Viertel des 16.Jahrhunderts und lässt sich in Deutschland als Werkzeug des Scharfrichters erstmals um 1540 nachweisen. In den schweizerischen Bilderchroniken vor und nach 1500 sowie anderen Bildzeugnissen, z.B. einem Holzschnitt mit den um 1508 in Bamberg gebräuchlichen Strafwerkzeugen, sind die eher breiten und kurzen Klingen der zum Enthaupten verwendeten Schwerter im Ort noch ausnahmslos zugespitzt und unterscheiden sich nicht deutlich von den Kampfschwertern zu einer- oder anderthalb Hand.
Ein Richtschwert aus dem frühen 16.Jahrhundert, das zu einer Serie von fünf überlieferten altbernischen Richtschwertern gehört (Hist.Museum Bern, Inv.260.1 - 260.5), verkörpert mit der 83,4 cm langen, sich geringfügig verjüngenden Klinge (Breite 5 cm), dem immer noch etwas zugespitzten Ort, die frühe Form des im Entstehen begriffenen neuen Richtschwerttyps. Wegeli stufte die besagte Waffe als «Kampfschwert» ein und bezweifelte deren Verwendung als Richtschwert obschon die Überlieferung der bernischen Richtschwertgruppe mindestens seit dem 17.Jahrhundert gesichert ist.
Die Existenz von «obrigkeitlichen Richtschwertern», die z.B. in den Städten für Hinrichtungen bereit gehalten wurden, lässt sich in der Schweiz seit der 1.Hälfte des 15.Jahrhunderts nachweisen.Eine erste Notiz zu bernischen Richtschwertern findet man in der Stadtrechnung von 1437, einem Schwertfeger wird das «Fegen», d.h. Reinigen und «Fassen», Erneuern des Griffes oder des ganzen Gefässes, eines Richtschwertes bezahlt. In regelmässigen Abständen, vor allem aber nach Hinrichtungen musste das Schwert «gefegt», «geschönt» oder «gewüscht» werden. In Luzern erhält ein Schwertfeger 1450 10 Schilling für das Wischen des städtischen Richtschwertes. Städte verfügten oftmals über mehrere Richtschwerter, so z.B. Zürich, das 1503 seine vier Richtschwerter Fassen und mit Scheiden versehen lässt. Weltliche und geistliche Grundherren besassen zur Ausübung der Blutgerichtsbarkeit Richtschwerter, die dem Scharfrichter jeweils zur Verfügung gestellt wurden.
Die Scharfrichter verwendeten auch eigene Schwerter. Weil der verfemte Scharfrichterberuf häufig von mehreren Generationen der gleichen Familie ausgeübt wurde, drängte sich die Anschaffung von Richtschwertern als Arbeitsinstrumente geradezu auf. So sind Schwerter aus dem Besitz der schweizerischen Scharfrichterdynastie, den Mengis aus Rheinfelden, bekannt (Hist.Museum Bern, Inv.471), die seit 1650 an verschiedenen Orten aktiv waren, so auch in Luzern, Sursee und Willisau. Ein verbreiteter Aberglaube besagte, dass ein hundertmal gebrauchtes Richtschwert zu vergraben sei, da es sonst «blutdürstig» werde. Eine erfreulichere Folge des hundertmaligen Gebrauchs erwähnt Gruner 1732 in seinem Werk, «Deliciae Urbis Bernae, Merckwürdigkeiten der hochlöbl.Stadt Bern», der von den fünf im Zeughaus aufbewahrten Richtschwertern berichtet, «womit 5 Scharffrichter von Bern sich frey und ledig gerichtet, indem sie mehr als 100 Executionen» ausführten und daher «frey und redlich» erklärt werden konnten. Eine derartige Redlichkeitserklärung ermöglichte ehemaligen Scharfrichtern den normalen Kontakt mit der Bevölkerung, Ausübung eines anderen Berufes und erlaubte die vorher verwehrte Beteiligung am öffentlich-politischen Leben. Die Sonderstellung von Nach- oder Scharfrichtern, dokumentiert eine bernische Bestimmung von 1471, die von den jeweiligen Amtsträgern verlangte, dass sie auf der Strasse Männern und Frauen aus dem Wege gehen, in der Kirche hinten Platz nehmen, ebenso in den öffentlichen Badestuben. Auf den Märkten war es ihnen untersagt Nahrungsmittel in die Hand zu nehmen. Den Einkauf musste der Scharfrichter der Ehefrau überlassen. Bei Kontakten mit dem Scharfrichter riskierten vor allem Handwerker unredlich oder unehrlich zu werden und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Ausübung des Berufes zu verlieren. Die Ehrlosigkeit des Henkers war ansteckend. Dies erfuhr 1546 ein Basler Handwerker, der» sich selbs entleibt aus Unmuth, weil er als ein Trunkener mit dem Scharfrichter getrunken. Welches ihm der Scharfrichter zwar gewehret, jener aber dessen nicht geachtet. Und als ihn die Zunft nicht mehr wolt arbeiten lassen, fiel er in solche Traurigkeit und Fall, wie gemeldet».
Von Autoren wie Haedeke, Kühne, Uhlemann und Seitz wird deutlich zwischen dem Richtschwert und dem «Gerichts- oder Richterschwert» zum zeremoniellen Gebrauch unterschieden. Wobei die bekannten Gerichts- oder Richterschwerter im Gegensatz zu den Richtschwertern typologisch nicht fixiert und für das 15.-18.Jahrhundert unterschiedlichste Formen nachweisbar sind.
Vgl. auch Kommentare zu Nrn.1 und 2, Kat.Morges, Gerichtsschwerter der Stadt Sursee.
Literatur: Werner Danckert, Unehrliche Leute, Die verfemten Berufe, Bern 1963. Dufty, Swords & Daggers op.cit., S.16, Tafel 12 c. Hans Fehr, Das Recht im Bilde, Erlenbach-Zürich/München/Leipzig 1923, S. 78-82, «Enthaupten», Abb.85-92. Hanns Ulrich Haedeke, Das Schwert des heiligen Georg, in: Blankwaffen, Festschrift Hugo Schneider, hg. K.Stüber u. H.Wetter, Stäfa 1982, S.15. Heinz Robert Uhlemann, Die mittelalterlichen Gerichtsschwerter und die späteren Richtschwerter von Passau, in: Blankwaffen op.cit., S.33-44, Abb.1 u.7. Wegeli, Schwerter und Dolche op.cit., S.19-20, Nr.154, Abb.22. Franz Heinemann, Richter und Rechtspflege in der deutschen Vergangenheit, mit 159 Abb.nach Originalen aus dem 15.-18.Jahrhundert, Leipzig o.J. (um 1910), S.44, Abb.41. Justiz in alter Zeit, Bd.6 der Schriftenreihe des mittelalterlichen Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber, Rothenburg o.T 1984, S.279-288, «Der Scharfrichter», S. 327-328, «Enthaupten». Albrecht Keller, Der Scharfrichter in der deutschen Kulturgeschichte, Bonn/Leipzig 1921. Ulrich Kühn, Das Richtschwert in Bayern, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Waffen- und Kostümkunde, Jg.1970, Heft 2, S. 89-126. Rudolf Quanter, Die Leib-und Lebensstrafen bei allen Völkern und zu allen Zeiten, Dresden 1901, S.206-248, «Die Enthauptung». Erika Schlesinger, Solinger Handwerkszeichen, Die Zeichen der Messermacherrolle von 1684 und ihre Besitzfolge bis 1875, Duisburg 1978, S.69-70. Seitz, Blankwaffen II op.cit., S.13,25-29, Abb.15-17. Peter Sommer, Der Scharfrichter von Bern, Bern 1969. P.X.Weber, Rüstungs- und Waffenschmiede im alten Luzern, in: Geschichtsfreund, Bd.82, 1927, S.208. R.Wegeli, Notizen zur Geschichte des zürcherischen Waffenwesens, in: Anzeiger für Schweiz.Altertumskunde N.F. Bd.9, 1907, S.61. Hist.Biog.Lexikon der Schweiz, Bd.5, Neuenburg 1929, S.77.