Silbergriff über einem Holzkern, bestehend aus getriebenen, ziselierten und verlöteten Silberblechen. Schmale Knaufzone oben gerundet und gegenüber dem mittleren Griffteil betont breiter, Griffansatz vergleichsweise ebenfalls breiter. Griffmittelstück achtkantig, die Vorder- und Rückseite bilden mit der Knaufzone sowie dem Griffansatz eine einheitliche Dekorfläche, geschmückt mit dicht angeordneten, blütenbesetzten Ranken, verwischte Marke in arabischer Schrift. An der Griffbasis ein umlaufender, bandartiger Zierwulst. Klauenförmige, stark gebogene Rückenklinge (Länge 21 cm, Breite 2,6 cm), volle Wurzel, Rückenhohlschliff. Silberscheide über Holzkern, Dekor in der Art des Griffes, zusätzlich vereinzelte Vogeldarstellungen. Auf der Vorderseite, im Zentrum der Scheide, Darstellung eines stilisierten Auges mit einer Blüte anstelle der Pupille. Beidseitig der Scheidenöffnung zwei Tragringe, als Scheidenabschluss dient ein Ortknopf in Pinienzapfenform.
Gesamtlänge: 34,5 cm, Gewicht (ohne Scheide): 335 g, Gewicht (mit Scheide): 620 g
Provenienz: Galerie Fischer, Luzern, 22. 6. 1966, Nr. 254.
Dem Sammler und Waffenhistoriker Charles Buttin (1856 – 1931), der sich eingehend mit der marokkanischen Bewaffnung beschäftigte, verdanken wir einige wertvolle Angaben zu dieser seltenen Griffwaffe. Er selbst besass zwei Exemplare in unterschiedlicher Verarbeitung, einen Dolch ähnlich demjenigen der Slg. Carl Beck (Katalog Buttin, Nr. 1028) und einen zweiten, ohne Scheide, mit einem silbergefassten, glatten Nashorngriff (Katalog Buttin, Nr. 1027). Die ungewöhnliche, nur für diesen Dolchtyp verwendete Klinge bezeichnete man als «makhles s’ba», französisch «griffe de lion» oder deutsch «Löwenklaue». Buttin verdanken wir auch die Information, dass die «schwarze Garde» des Sultans von Marokko mit diesem Dolch bewaffnet war. Der Dekor einer weiteren 1995 im Handel angebotenen Waffe verdeutlicht die Wächterfunktion der Dolchträger. Im Knaufbereich des besagten Dolches wurde ein grosses, stilisiertes Augenpaar, «Miribota», abgebildet. Augen symbolisieren von alters her Wachsamkeit, sie schützen in gleichem Masse vor dem bösen Blick. Auf der vorliegenden Waffe erscheint das Auge, als dezent gestaltetes Medaillon mit Blütenschmuck, ebenfalls.
Ein verschiedentlich publizierter «Löwenklauen-Dolch» befindet sich in der Sammlung des historischen Museums in Dresden. Er soll dem türkischen Kommandanten Mussa Pascha gehört haben, der 1853 während des Krimkriegs die an der Donau gelegene Festung Silistria (in Bulgarien) gegen einen russischen Angriff erfolgreich verteidigte. Er gelangte mit anderen Stücken in den Besitz des russischen Generals v. d. Osten-Sacken (1790 – 1881). Die Waffe entspricht weitgehend den bisher bekannt gewordenen Exemplaren, der Dekor erscheint jedoch etwas planer und einfacher. Obschon dieser Dolch archaischer anmutet als die drei bereits erwähnten Exemplare, erscheint die bisherige Klassierung «türkisch 17. Jahrhundert» als nicht gerechtfertigt. Eine Ansicht die schon Buttin vertrat.
Literatur: Buttin, Catalogue op. cit., S. 268/269, Nrn. 1027/1028. Galerie Fischer, Luzern, 5./7. 10. 1995, Nr. 725. Die Türken vor Wien, 82. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, 1983, S. 129, Nr. 13/28. Enciclopedia Militare, Milano 1933, 5. Bd. S. 705, 6. Bd., 1933,
S. 976/977. Otto Koenig, Die Ritualisierung des Auges in der Ornamentik, Kultur und Verhaltensforschung, München 1970, S. 183/260. Christian-Henry Tavard, Les armes blanches modernes, Paris 1971, S. 77/80.